«Trotzdem halten wir am Standort fest»

Die Stadt Schaffhausen betreibt seit 30 Jahren an der Geissbergstrasse 89 in einem ehemaligen Personalhaus des Kantonsspitals eine Notunterkunft mit dem Namen «Soziales Wohnen Geissberg». Sie verfügt über 54 bewilligte Plätze sowie Räume für ein
Arbeitsprogramm für Personen, die Sozialhilfe beziehen. Die Liegenschaft soll bald dem geplanten Spitalneubau weichen. Deshalb sucht die Stadt nach einem neuen Standort für das «Soziale Wohnen». Am Montag hatte der Stadtrat eine entsprechende Vorlage vorgestellt. Die Institution soll künftig in einem Neubau im Hauental, beim Buswendeplatz «Sommerwies» untergebracht werden. Die Stiftung Summerwis will für rund vier Millionen Franken einen Neubau erstellen, auf Land, das sie von der Stadt im Baurecht erhält. Am Dienstagabend fand im Zentrum Heuberg eine Informationsveranstaltung für die Quartierbevölkerung statt, an der grosse Skepsis sichtbar wurde.

Herr Stocker, an der Informations­ veranstaltung im Hauental kam es teils zu heftigen Reaktionen. Haben Sie Wider­stand gegen das Projekt erwartet?
Simon Stocker: Ja, ich habe mit Widerstand gerechnet. Schon im Vorfeld wurden gewisse Befürchtungen an uns herangetragen. Ich weiss aus meinen Jahren im Stadtrat und von anderen Projekten, dass solche Bauvorhaben oft Menschen mobilisieren, die gewisse Befürchtungen haben.

Was waren konkret die Befürchtungen, die am Anlass geäussert wurden?
Stocker: Wenn man sich eine Notunterkunft vorstellt, haben manche Leute negative Bilder im Kopf. Man stellt sich vor, dass dort vor allem Drogenkonsumenten und gewalttätige Menschen verkehren. Wenn man diese Bilder im Kopf hat und dann hört, dass im eigenen Quartier eine solche Unterkunft gebaut werden soll, dann löst das ein mulmiges Gefühl aus.

Stimmen diese Bilder mit der Realität überein? Wie sind die Erfahrungen vom Geissberg?
Stocker: Wir haben jetzt 30 Jahre Erfahrung mit dem Sozialen Wohnen Geissberg. Es handelt sich auch dort um ein sensibles Gebiet. In der Nachbarschaft gibt es das Spital, die Cilag, eine Wohnsiedlung, die kantonale Finanzverwaltung und eine Kindertagesstätte, die nur 20 Meter vom heutigen Standort entfernt ist. Wir hatten deshalb auch die
Polizei zur Informationsveranstaltung eingeladen, um eine neutrale Beurteilung zum Standort abzugeben. In den letzten 30 Jahren, und speziell in den letzten Jahren, kam es zu keinen nennenswerten oder sicherheitsrelevanten Vorfällen, die das Quartier beeinträchtigt hätten. Ein grosser Teil der Klienten des Sozialen Wohnens ist ins Alter gekommen. Sie sind oft auch gesundheitlich beeinträchtigt. Es sind Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen. Oft haben sie finanzielle Probleme. Manchmal sind es Personen, die aus dem Ausland in die Schweiz zurückkehren und vorübergehend irgendwo
wohnen müssen.

Der Umgang mit diesen Menschen dürfte aber nicht immer einfach sein, oder?
Stocker: Natürlich sind es nicht immer einfache Leute. Aber der grosse Teil ist umgänglich und versucht, wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Viele machen bei einem Beschäftigungsprogramm mit. In der Stadt helfen diese Leute etwa beim Aufräumen von Spielplätzen oder beim Unterhalt des Spielmobils. Es gibt eine Littering-Gruppe, die Abfall im Quartier sammelt. Man muss das Bild also überarbeiten, das man von diesen Menschen hat. Ich bin überzeugt, dass sie auch im Hauental nicht negativ auffallen werden. Stattdessen wollen sie sich im Quartier engagieren.

Heisst das, dass viele der Befürchtungen, die am Anlass geäussert wurden, nicht berechtigt sind?
Stocker: Die Erfahrungen aus den 30 Jahren Soziales Wohnen Geissberg sind für mich der Gradmesser. Es gab dort keine grösseren
Schwierigkeiten. Natürlich gab es hie und da einmal Probleme. Es gibt Leute, die einmal etwas mit Drogen zu tun haben oder Leute, die bei der Polizei bekannt sind. Das will ich nicht verheimlichen. In der Unterkunft selber und im direkten Umfeld sind diese Menschen aber sehr unauffällig.

Waren Sie enttäuscht über die Reaktionen?
Stocker: Ich habe nach der Veranstaltung noch länger mit einzelnen Besuchern gesprochen. Ich kann viele Gedanken nachvollziehen. Über Ängste und Befürchtungen kann man nicht enttäuscht sein. Man muss sie ernst nehmen. Wir halten am Standort fest, wollen jedoch die Anwohner und deren Vorbehalte einbeziehen.

Gibt es beim Sozialen Wohnen Geissberg spezielle Sicherheitsvorkehrungen, und sind solche auch in der Sommerwies vorgesehen?
Stocker: Auf dem Geissberg gibt es heute einen 24-Stunden-Betrieb. Rund um die Uhr ist Personal anwesend. Weitere Sicherheitsmassnahmen waren bisher nicht nötig. Wenn es zu einem Zwischenfall kommt, rufen wir die Polizei. Das ist in den letzten Jahren aber nur sehr selten vorgekommen.

Wie nehmen Sie jetzt die Befürchtungen der Anwohner im Sommerwies auf?
Stocker: Wir möchten mit den interessierten Anwohnern eine Begleitgruppe bilden, in der die Themen aufgenommen werden können. Dort könnten die Anwohner auch direkt mit den Klienten des Sozialen Wohnens in Kontakt kommen. Denn oft können Vorbehalte gegenüber einer bestimmten Gruppe abgebaut werden, wenn man diese Menschen direkt kennenlernt. Wir möchten die im Projekt geplante Infrastruktur wie die Werkstätten oder das Cafè auch für das
Quartier öffnen. Die Bevölkerung wird eingeladen, dort etwas zu veranstalten. Ich bin überzeugt, dass das Projekt auch für die Quartierbewohner einen Mehrwert bieten kann.

Sind Sie optimistisch, dass doch noch Akzeptanz geschaffen werden kann?
Stocker: Ja. Auch das zeigt mir die Erfahrung mit dem Sozialen Wohnen Geissberg. Weder vom Spital noch von der Kindertagesstätte oder der Cilag ist mir eine Reklamation bekannt.

Während dreier Jahre wurden an zwölf Orten verschiedene Standorte erwogen. Warum entschied man sich für die Sommer­wies?
Stocker: In und ausserhalb der Stadt Schaffhausen wurden diverse Möglichkeiten angeschaut. Die verschiedenen Standorte wurden bewertet. Dabei spielten Fragen der Zonenordnung, der Kosten, der Erreichbarkeit, der Besitzverhältnisse oder der künftigen Entwicklungsmöglichkeiten eine Rolle. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass diese Parzelle für den Neubau am besten geeignet ist.

Ein Kriterium war auch die Standort­empfindlichkeit. Hat man das falsch eingeschätzt?
Stocker: Ich mache mir hier keine Illusionen. Ich glaube: Egal, wo man hingeht, wenn es in der Nähe Wohnraum gibt, dann löst so ein Projekt Vorbehalte und Widerstand aus. Es gäbe wohl an jedem anderen Standort ähnliche Kritik.

Gibt es noch Alternativen zur Sommerwies?
Stocker: Wenn der Bau im Sommerwies nicht möglich sein sollte, dann müssen wir weiter suchen.

Wie geht es nun weiter?
Stocker: Die Vorlage geht nun in den politischen Prozess: Das Parlament entscheidet über die Baurechtsvergabe. Erst danach macht die Stiftung Summerwis die Baueingabe. Wenn klar wird, dass gebaut werden kann, dann würde die Stiftung die Begleitgruppe ins Leben rufen, um die Anwohner einzubeziehen.

Können die Anwohner noch auf die Stand­ortwahl Einfluss nehmen?
Stocker: Der Grosse Stadtrat entscheidet über die Baurechtsvergabe und damit auch über die Frage, ob das Projekt in der Sommerwies realisiert werden kann. Die Anwohner müssten sich über die Parteien und Fraktionen im Grossen Stadtrat politisch einbringen.
Interview: Daniel Jung / Schaffhauser Nachrichten vom 10.1.2020

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